Wasserstoffkernnetz

Wird Wasserstoff zum Gamechanger?

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2024

Im Oktober hat die Bundesnetzagentur das Wasserstoffkernnetz genehmigt – und damit den Startschuss für die Nationale Wasserstoffstrategie gegeben. Das gasförmige Element hat das Potenzial, die Dekarbonisierung energieintensiver Industriesektoren wie der Stahl-, Eisen- und Zementindustrie zu erleichtern, und wird nicht zuletzt auch als Energielieferant im Schiffs- und Flugverkehr an Bedeutung zunehmen. Nun gilt es, diese Potenziale schnell zu heben – und Deutschland als Vorreiter in Position zu bringen.

Ein Wasserstofftank im Vordergrund, dahinter Windenergieanlagen.
Foto: iStock / audioundwerbung

Über insgesamt 9.040 Kilometer wird sich die neue Wasserstoff-Autobahn, das sogenannte Wasserstoffkernnetz, durch die gesamte Bundesrepublik ziehen und als wichtigste Leitung der künftigen Wasserstoff-Transport- und -Importinfrastruktur zentrale Produktionsstandorte, Speicherorte und Importknoten mit Verbrauchern aus Wirtschaft und Versorgung verbinden. Bis zu 278 Terawattstunden an Energie in Form von Wasserstoff soll das Netz nach Angaben der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber jährlich transportieren – das entspreche einem Drittel des heutigen Erdgasverbrauchs. Bereits 2032 soll das Mammutprojekt fertiggestellt werden; etwa 60 Prozent des neuen Wasserstoffkernnetzes entstehen durch Umwidmung und Umstellung bestehender Erdgasleitungen; 40 Prozent werden neu gebaut. 

Diese Kombination aus Umrüstung und Neubau führe einerseits zu einer Senkung der Gesamtkosten und andererseits zu einer Beschleunigung des Ausbaus. Die Gesamtkosten in Höhe von 19,8 Milliarden Euro soll die Privatwirtschaft tragen – mit staatlicher Unterstützung über die Deckelung von Netzentgelten. Ab Sommer 2025 soll zudem die Planung für das Verteilernetz beginnen, mit dem der Wasserstoff dann zu den Verbrauchern transportiert wird. Dem Wasserstoffkernnetz kommt im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie eine zentrale Bedeutung für die Energieversorgung der Zukunft zu, ruhen doch auf Wasserstoff als Energieträger und Speichermedium große Hoffnungen: Allen voran soll mit dem Einsatz von H₂, gewonnen mit erneuerbarer Energie, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas beseitigt werden. So böten Wasserstoff und dessen Folgeprodukte die Chance, Klimaschutz in den Bereichen voranzubringen, in denen es keine technischen Alternativen oder effizientere Dekarbonisierungslösungen gibt, heißt es vonseiten der noch amtierenden Bundesregierung. Im Fokus stehen dabei vor allem energieintensive Industrien wie Stahl-, Chemie- und Zementproduktion. Aber auch im Verkehr, allen voran im Flugverkehr, in der Schifffahrt und für Schwerlasttransporte soll Wasserstoff künftig zum Einsatz kommen. „Investitionen in Wasserstoff sind eine Investition in unsere Zukunft. In den Klimaschutz, in qualifizierte Arbeitsplätze und die Energieversorgungssicherheit“, meint Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck. 

CO₂-neutral produzieren

Weltweit verbraucht die Industrie aktuell 95 Millionen Tonnen Wasserstoff im Jahr, in Deutschland sind es 1,7 Millionen Tonnen. Sollen gerade energieintensive Industrien, für die es bislang keine anderen Lösungen für eine CO₂-freie Produktion gibt, klimaneutral werden, wird der Bedarf an Wasserstoff drastisch steigen. Wasserstoff wird in der Industrie zur Erzeugung von Prozesswärme oder direkt als Rohstoff in der Produktion verwendet. In der Stahl- und Chemieindustrie etwa werden gasförmige Energieträger für zahlreiche Produktionsverfahren benötigt, nicht nur energetisch, sondern auch als wichtige Rohstoffe. Stahlwerke beispielsweise wollen mit Wasserstoff CO₂-neutralen Stahl herstellen, Agrochemieunternehmen nutzen das Gas für die Produktion von Düngemitteln. Es wird aber auch als Kühlmittel oder für das Raffinieren von Mineralöl gebraucht.

Wasserstoffkernnetz: Unterwegs mit Wasserstoff 

Auch im Verkehrssektor kann Wasserstoff als Grundstoff für künftiges Flugbenzin, Schiffsdiesel und auch für E-Fuels dienen. Aber auch direkt mit Wasserstoff angetriebene Lkws sollen in den kommenden Jahren über Deutschlands Straßen rollen. „Gerade im Bereich der schweren Nutzfahrzeuge ist Elektromobilität nicht ausschließlich mit batterieelektrischem Antrieb gleichzusetzen. Vielmehr muss auch der Brennstoffzellenantrieb als Teil der Technologievielfalt mitgedacht werden“, sagt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Die Vorteile liegen auf der Hand: Wasserstoff ist schnell zu tanken, leicht zu verteilen und verspricht größere Reichweiten. Dafür brauche es nach Schätzung des VDA bis 2030 mindestens 1.000 Wasserstofftankstellen in Europa, davon 300 in Deutschland. Und auch in der Luftfahrt soll Wasserstoff mittelfristig Öl als Energieträger ersetzen, sind Batterien doch vor allem für größere Flugzeuge zu schwer. In der Erprobung sind sowohl Brennstoffzellen, die Propeller antreiben, als auch Turbinen, in denen H₂ direkt verbrannt wird. Noch ist das Fliegen mit Wasserstoff aber Zukunftsmusik – das größte Problem ist die Speicherung. Denn Wasserstoff kann nicht wie Kerosin in die Flügel gepumpt werden. Er muss in kugelförmigen Behältern im Rumpf mitgeführt werden.

Grüner Wasserstoff braucht grünen Strom

Für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft braucht es regenerative Energien, die massiv ausgebaut werden müssen. Denn nur wenn Wasserstoff aus grünem Strom gewonnen wird, gilt er als klimaneutral. Und hier stockt es derzeit gewaltig. Bei der Sonnenenergie wurden die Ausbauziele der Bundesregierung in diesem Jahr erreicht; bei der Windkraft allerdings nicht – da stehen erst knapp 21 Prozent der geplanten Anlagen. Außerdem braucht es Speicher, um den Wasserstoff immer vorrätig zu haben. Ein höheres Tempo ist auch bei der Herstellung der Elektrolyseure vonnöten, den Anlagen, in denen aus dem grünen Strom Wasserstoff wird. Einer Erhebung der Unternehmensberatung PwC zufolge seien heute Elektrolysekapazitäten von nicht einmal 0,1 Gigawatt in Betrieb, finanziert seien Projekte mit 0,55 Gigawatt. Die Nationale Wasserstoffstrategie sieht aber vor, dass Deutschland bis 2030 eine eigene Wasserstoff-Elektrolysekapazität von zehn Gigawatt aufbaut. 

Um dieses Ziel zu erreichen, müsste Deutschland nun jedes Jahr Elektrolyseanlagen mit ein bis zwei Gigawatt und 200 bis 400 Windräder bauen, rechnen die PwC-Experten vor. In den vergangenen zwei Jahren wurden jedoch nur 0,25 Gigawatt Zubau finanziert. Langfristig sollen allerdings bis zu 80 Prozent des Wasserstoffs importiert werden. Dabei sollen die Lieferquellen möglichst breit gestreut werden. Abkommen zur Lieferung von Wasserstoff seien in den vergangenen Jahren mit Ägypten, Australien, Chile, Indien, Kanada, Namibia, Saudi-Arabien, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Algerien geschlossen worden, heißt es bei der Bundesregierung.

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